Erfahrungen von Desinfektor und Tatortreiniger Marcell Engel
Frankfurt, 20. November 2020. Marcell Engel, Geschäftsführer des Frankfurter Unternehmens Akut SOS Clean GmbH, hat sich als Experte im Bereich der Tatortreinigung und Desinfektion längst über Deutschland hinaus einen Namen gemacht. So wird er als Spezialist häufig um eine Einschätzung in Fachfragen gebeten und ist vielfach in den Medien vertreten. Im Folgenden gibt er Antworten auf Fragen, wie die Corona-Epidemie seine Geschäftstätigkeit beeinflusst hat, wie er persönlich damit umgeht und was gerade im Zuge der so genannten zweiten Welle absehbar ist.
Wie sind Ihre derzeitigen Erfahrungen und Beobachtungen nach dem exponentiellen Anstieg der Corona-Infektionen und dem aktuellen Teil-Lockdown?
„Die Gesamtsituation war und bleibtherausfordernd. Auch jetzt erreicht uns eine Vielzahl Anrufe von hilfesuchenden Unternehmen, Behörden und Privatpersonen täglich. Besonders heftig trifft es momentan Vereine und Organisationen, die aufgrund von positiv getesteten Personen schließen mussten. Sie können Hilfsbedürftigen derzeit keine Unterstützung bieten. Das ist hart.
Wir selbst machen unter anderem die Erfahrung, dass die ersten Kunden ihre Rechnungen nicht mehr zahlen. Was mich besonders betroffen macht, sind die Einzelschicksale, die sich in unserem Kundenkreis befinden. Wir hatten Anrufer, die hofften, dass wenn wir ihre Läden desinfizieren, das Geschäft wieder in Gang kommt. Für sie ist die momentane Situation eine Katastrophe. Etliche meiner Kunden, die wir während des ersten Lockdowns betreuten, sind am Ende und können ihre geschäftliche Existenz kaum oder gar nicht mehr aufrechthalten. Zehn haben zwischenzeitlich bereits kapituliert.Wir hatten Kunden, die erst anriefen, um sich beraten lassen. Und am Ende mussten wir als Tatortreiniger anrücken. Sie haben Suizid begangen. In drei Fällen waren wir damit konfrontiert.
Ein Trost ist indes, dass bei vielen in dieser Zeit aber auch eine Rückbesinnung stattfindet. Solidarität ist spürbar – trotz der Sorgen und Zukunftsängste, die viele gerade plagen.“
Wirkt sich dies auf Ihre Geschäftstätigkeit aus?
„Die Pandemie hat sich grundsätzlich auf unsere Geschäftstätigkeit ausgewirkt. Davor betrug der Anteil der Aufträge von reinen Desinfektionen rund fünf bis acht Prozent, heute sind es 50 Prozent. Tagtäglich kommen zahlreiche Anfragen von besorgten Menschen. Aktuell stehen 14 Großaufträge an. Was sich aber vor allem verändert hat, ist, dass wir neben unserer Arbeit häufig zu Ratgebern und Tröstern werden. Das ist für mich und meine Teams aber selbstverständlich. Wir wissen, dass die momentane Situation bei vielen Menschen Ängste und Unsicherheit auslösen. Und wir merken, dass durch die Gespräche, also durch den zwischenmenschlichen Kontakt, der im Rahmen unserer Tätigkeit entsteht, diese ein Stück weit genommen werden. Das ist mir wichtig und ich bin froh, dass meine Mitarbeiter dies genauso sehen.“
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung bis zum Frühjahr ein?
„Die derzeitige Zielsetzung ist, mit der Impfung die Pandemie in den Griff zu bekommen, um die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Ich wage stark zu bezweifeln, dass dies bis zum kommenden Frühjahr gelingt. Die derzeitigen Maßnahmen wie Light-Lockdown werden uns bis Ostern sicher noch begleiten.Denn die Gefährdung liegt ja im Zusammenkommen von vielen Menschen in geschlossenen Räumen.Somit erwarte ich erst im späten Frühjahr Entspannung, wenn die Temperaturensteigen und die Infektionszahlen sinken. So wie es im Übrigen ja auch absehbar war und die Virologenes schon lange – und im Anschluss daran auch die Regierung – sagen.
In dem Zusammenhang hätte ich mir gewünscht, dass von Anfang an viel stärker an die Solidarität und auch Eigenverantwortlichkeit aller Bevölkerungsgruppen appelliert worden wäre.Hier ist jeder gefordert. Das Tragen von Nasen-Mundschutz sollte inzwischen eine Selbstverständlichkeit sein. Das schützt ja nicht nur vor dem Corona-Virus, sondern auch vor anderen Bakterien und Keimen. Gerade in der Erkältungszeit ist es also doppelt nützlich. Ebenso das Abstand halten. Und ganz wichtig: Die Hygiene. Dabei muss nicht immer desinfiziert werden. Das ausgiebige und gründliche Händewaschen und Trocknen ist ein Muss. Und bei Bedarf das Desinfizieren der so genannten Touchflächen, also Türklinken, Handläufe, Lichtschalter, Türen usw. Wenn sich daran jeder hält, ist schon viel erreicht.“
Was halten Sie für den Umgang mit dem Virus generell für wichtig?
„Seitens aller Verantwortlichen halte ich eine offene Informationspolitik für unerlässlich. Wir brauchen klare Regeln, um dauerhaft und konsequent diese Maßnahmen zu verankern.Und Menschen von verantwortlicher Seite, die dieses in der Klarheit kommunizieren. In dem Punkt hat es meiner Meinung nach in der Vergangenheit erhebliche Defizite gegeben. Gerade in solchen herausfordernden Zeiten ist es wichtig, die Menschen aufzuklären und mitzunehmen. Verständnis zu erzeugen und miteinander im Gespräch zu sein, sind dafür die Basis. Wenn die Menschen verstehen, warum welche Maßnahmen, wann ergriffen werden, erhöht das die Bereitschaft, mitzumachen. Da ist auf politischer Seite noch deutlich Luft nach oben.“
Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf Ihren persönlichen Lebensbereich?
„Zusammengefasst beobachte ich in den vergangenen Monaten, vor allem durch den Lockdown zu Beginn der Pandemie ein „Back tot he roots“, also zurück zu den Wurzeln. Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen, hat eine neue Qualität bekommen. Eine persönliche Lehre, die ich aus dieser Krise ziehe: Gesundheit, Familie, Liebe, Freundschaft: Das ist das, was wirklich zählt. Wenn wir das haben, dann können wir uns glücklich schätzen.“
Haben Sie Tipps, wie die gebeutelten Branchen und auch generell die Menschen durch diese Zeit kommen?
„Bei allem Frust und teils auch Entbehrungen, die die Menschen jetzt in Kauf nehmen müssen, sind Optimismus und kreative Ideen wichtiger denn je. In meinem Umfeld erlebe ich, wie beispielsweise Restaurants attraktive Bestell- und Abholangebote entwickeln, Fitnessstudios ihre Mitglieder verstärkt mit Online-Kursen versorgen und viele Unternehmen wie Hotels Konzepte für die Wiedereröffnung entwickeln. Also, wenn irgend möglich, nicht stehenbleiben, sondern positiv nach vorn gucken. Auch wenn es mitunter schwerfällt. Die Menschen brauchen ein Ziel und müssen das auch verfolgen. Nicht darauf warten, dass die Welt nach der Pandemie wieder wie vorher aussieht. Selbst aktiv werden heißt hier die Devise.
Und: Selbstachtsamkeit üben. Das ist gerade in dieser Lage ein bedeutsames Stichwort. Mein Lebensmotto ist: „Wir leben hier und jetzt“. Praktisch umgesetzt bedeutet das, darauf achten, dass es mir möglichst gut geht. Im Zuge dessen, das Immunsystem stärken. Aus Erfahrung weiß ich, dass die innere Einstellung einen großen Einfluss auf die Gesundheit hat: Wer positiv denkt, wird Positives erleben – das ist eine meiner Lebensmaximen. Ansonsten, wie bereits gesagt, auf gute eigene Hygiene achten, sich gesund und ausgewogen ernähren und – nicht zu vergessen – auch für Bewegung und Entspannung sorgen. Damit ist eine gesunde Basis gelegt. Und das ist auch in Zeiten wie diesen machbar. Das ist meine feste Überzeugung.“